01.07.2015

Haftpflichterhöhung treibt Hebammen in die Enge

Ab 1. Juli 2015 müssen Hebammen den jährlichen Versicherungsbeitrag in Höhe von mittlerweile 6.274 Euro alleine stemmen. Ein massiver Rückgang der freiberuflichen Geburtshilfe ist zu befürchten. Der unerträglichen Verzögerungstaktik des Spitzenverbandes der Krankenkassen (GKV) bei den Verhandlungen mit den Hebammenverbänden ist anzulasten, dass die Versorgung mit Hebammenhilfe für Mütter, Kinder und junge Familien nicht mehr gewährleistet ist.

Protestaktion am 29.6.2015 vor dem Sitz des GKV-SV in Berlin; Foto: Deutscher Hebammenverband

Protestaktion am 29.6.2015 vor dem Sitz des GKV-SV in Berlin; Foto: Deutscher Hebammenverband

Die erneute Erhöhung der Versicherungsprämien markiert den Tiefpunkt einer jahrelangen Entwicklung, in der die Versicherungen freiberufliche Hebammen massiv in ihrer Existenz bedroht haben. Immer mehr Hebammen sind gezwungen, die Geburtshilfe aufzugeben. Auch in Kliniken, die mit freiberuflichen Hebammen arbeiten, ist der Mangel an Beleghebammen zu spüren. In vielen Kreißsälen sind Stellen nicht mehr besetzt, so dass die Geburtshilfe zumindest zeitweise eingestellt wird oder die Kreißsäle ganz schließen. Wenn immer mehr Hebammen fehlen, die Frauen und Familien seit Menschengedenken in einer einschneidenden Lebensphase mit hohem Fachwissen und Einsatz zur Seite stehen und intensiv betreuen, gibt es keine sichere Geburtshilfe mehr.

Die vom Deutschen Hebammenverband initiierte "Landkarte der Unterversorgung" zeigt nachdrücklich, wo welche Hebammenleistungen fehlen. In einigen Regionen Deutschlands gibt es schon längst keine Wahlfreiheit mehr - weil die klinische Geburtshilfe auf wenige Krankenhäuser zentralisiert wurde oder die freiberufliche Geburtshilfe weggefallen ist. Auch für die Wochenbettbetreuung und Schwangerenvorsorge findet sich immer schwerer eine Hebamme.

Mit seiner Kampagne "Wir brauchen unsere Hebammen" setzt sich der Deutsche Hebammenverband (DHV) massiv dafür ein, dass die Versorgung von Frauen und Familien mit Hebammenhilfe gewährleistet ist. Denn Frauen und Familien brauchen die beste Betreuung rund um Schwangerschaft und Geburt: die Betreuung durch eine Hebamme!

Verzögerung statt schneller Hilfe

Zwar soll ein gesetzlich vorgeschriebener Ausgleich für die Prämiensteigerung durch die Krankenkassen geleistet werden. Doch der GKV-Spitzenverband verweigert einen angemessenen Ausgleich, so dass die Schiedsstelle angerufen werden muss und die Zahlungen sich erheblich verzögern. Heftig umstritten sind zudem die von den Krankenkassen pauschal erhobenen und wissenschaftlich nicht belegten Ausschlusskriterien für Geburten im häuslichen Umfeld. Die Anerkennung dieser Kriterien greift massiv in die Berufsausübung von Hebammen ein: Hebammen arbeiten qualitativ hochwertig, sie sind Fachfrauen für physiologische Geburten und in der Lage, gemeinsam mit den Frauen kompetente Entscheidungen zu treffen. Die von den Kassen aufgestellten Kriterien sprechen Frauen das gesetzlich zugesicherte Recht ab, zu entscheiden, wo sie gebären wollen. Das können Hebammen nicht unterstützen. Da auch in diesem Punkt die Schiedsstelle tätig werden muss, kann die schon vereinbarte Honorarerhöhung für Hebammen um fünf Prozent nicht zum Zuge kommen.

Auch ein eingeschränkter Regressverzicht von Kranken- und Pflegekassen wird aufgrund juristischer "Fallstricke" wie die Unterscheidung zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit keine nachhaltige Lösung für Hebammen darstellen, sondern vielmehr im Einzelfall eine Prozesslawine nach sich ziehen.

Gesellschaftliche Debatte nötig

In welcher Gesellschaft leben wir, in der Krankenkassen Hebammen vorschreiben, wie sie zu arbeiten haben und Frauen die Entscheidung nehmen wollen, wie und wo sie gebären? Hebammen können das nicht hinnehmen, denn für Frauen und Familien steht viel auf dem Spiel, eine Geburtskultur ist in großer Gefahr.

Kritische Anfragen von Elterninitiativen, wie die von Mother Hood e.V. (ehemals Hebammenunterstützung) an die Krankenkassen, erhielten wenig zufriedenstellende Rückmeldungen - oder keine. Mit der über 120.000-mal gezeichneten Petition der Bundeselterninitiative wurden die Krankenkassen aufgefordert, die Kosten auch zukünftig unabhängig vom Geburtsort und Geburtstermin zu übernehmen. Frauen müssen selbst entscheiden können, wie sie gebären wollen.

Hebammen sind unverzichtbar – für Familien ebenso wie für eine freiheitliche Gesellschaft. Deshalb benötigen wir Bedingungen, unter denen wir unsere verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben können. Wir lassen uns nicht von den Krankenkassen vorschreiben, wie wir das tun!

Lesen Sie mehr dazu in der Presse

Versicherungsjournal vom 30.06.2015

Rheinische Post online vom 30. 06 2015

Süddeutsche.de vom 30.06.2015

Tagesspiegel vom 29.06.2015

Ärztezeitung vom 29.06.2015

Zeit online vom 29.06.2015